Autofreier Stadtverkehr am Rotterdamer Hauptbahnhof
Die Verkehrswende gelingt nur, wenn dem Auto Platz weggenommen wird, sagt Helmut Holzapfel. (Foto: Jurriaan Snikkers/​Unsplash)

Klimareporter°: Der ADAC und die FDP machen Front gegen die Forderung des Städtetages, dem Auto Flächen wegzunehmen und sie für Fußgänger, Fahrradfahrer und mehr Grün zu nutzen. Das stärke nur das "Gegeneinander" und sei der "Todesstoß" für den Einzelhandel. Herr Holzapfel, können wir uns in Corona-Zeiten eine Mobilitätswende mit Maßnahmen für den Stadtumbau, für Bus, Bahn und Rad überhaupt noch leisten?

Helmut Holzapfel: Für den Verkehrssektor werden derzeit enorme Mittel aufgewandt, etwa für die E-Auto-Prämie oder die Lufthansa, nun soll es weitere Hilfen für Zulieferer in der Autoindustrie geben. Die echte Mobilitätswende, wie sie auch der Städtetag fordert, kommt dagegen zu kurz.

Dabei können wir es uns gar nicht leisten, auf sie zu verzichten. Je später wir umschalten und uns von der Fixierung auf die zu vielen, zu schweren und PS-starken Fahrzeuge verabschieden, umso härter wird der Einschnitt werden, wenn Grenzen der Belastung von Menschen und Natur immer deutlicher werden – nicht nur durch die zu hohen CO2-Emissionen.

Die Autoindustrie ist ein Jobmotor, der ohnehin schon gewaltig stottert. Deswegen ja die Hilfsmaßnahmen. Vernichtet die Mobilitätswende nicht noch mehr Arbeitsplätze?

Unter dem Strich nicht, zumal in der Autoindustrie ohnehin Jobs wegfallen, da Elektromotoren einfacher zu bauen sind. Neue Arbeitsplätze würden entstehen bei Planung und Gestaltung funktionierender öffentlicher Räume in den Städten, im wachsenden öffentlichen Verkehr, beim Bau der Radwege und bei der intelligenten Organisation der Mobilität.

Die Autobauer befassen sich bereits mit diesen Fragen – es bietet sich ja geradezu an, dass die Autokonzerne auch zu Mobilitätskonzernen werden. Der Wandel wird nicht einfach, aber je eher wir beginnen, desto besser.

Aber wollen die Bürger diesen Wandel überhaupt? Wollen sie nach Corona nicht alles nachholen, den großen SUV, Fernflug, Kreuzfahrt ...

Die Bürger sind weiter als Politik und Behörden. Viele in der jungen Generation verzichten auf den Führerschein, die Fahrrad-Nutzung boomt, übrigens nicht erst seit Corona, und alle Umfragen zeigen, dass weniger Tempo und Orte mit weniger Autos gewünscht werden. Aber wenn die Politik die Menschen weiter ins Auto, Flugzeug oder Kreuzfahrschiff treibt ...

Wie tut sie das?

Helmut Holzapfel
Foto: ZMK

Helmut Holzapfel

leitet das Zentrum für Mobilitäts­kultur in Kassel. Der Bauingenieur, Stadtplaner und Verkehrs­wissen­schaftler war bis 2015 Professor am Institut für Verkehrs­wesen der Uni Kassel. Er ist Mitglied im Beirat für Integrität und Unternehmens­verantwortung des Autobauers Daimler und berät Gewerkschaften sowie Umwelt­verbände. Holzapfel ist Autor des neu erschienen Sachbuchs "Urbanismus und Verkehr" zur Mobilitäts­wende.

Alle diese umweltschädlichen Methoden der Fortbewegung werden mit Milliarden an Steuergeld subventioniert: Regionalflughäfen, auch wenn gar niemand fliegt, die Werften für Kreuzfahrtschiffe, der Dieselsprit durch niedrige Steuern, große Plug-in-Hybrid-Autos durch eine E-Auto-Prämie, auch wenn sie kaum elektrisch gefahren werden.

Nicht gefördert wird die Stadt der kurzen Wege. Die Stadtzentren und die Nahversorgung leiden, in Frankfurt am Main verödet sogar die Einkaufsmeile Zeil, und das Geschäft um die Ecke geht in Konkurs, ohne dass es jemanden kümmert.

Sprit ist in den letzten Jahren deutlich weniger im Preis gestiegen als Fahrkarten für Bus und Bahn, es gibt heute 20 Prozent weniger Schienen, aber 18 Prozent mehr Autobahnen als 1995 und einen Bundesverkehrswegeplan, der den Straßenbau bis 2030 weiter intensiv fördert. Da ist kein Umsteuern sichtbar.

Und wo bleibt die im letzten Jahr versprochene Fahrradoffensive des Bundes? Es wurde durch eine Bundestags-Anfrage im Juni klar, dass bis dahin nicht ein Cent dafür ausgegeben wurde. Die Bürger sehen doch, wohin das Geld fließt, und glauben nicht mehr, dass die Mobilitätswende noch kommt.

Die E-Auto-Prämie ist aber doch ein Teil der Verkehrswende, und sie zeigt nun auch Wirkung, die Zulassungszahlen steigen.

Auch E-Autos brauchen Platz, verbrauchen Energie und Rohstoffe und produzieren Reifen- und Fahrbahnabrieb. Die jetzige Förderung kommt im Übrigen aus dem allgemeinen Steuertopf, wird also auch von Menschen ohne Auto finanziert. Was hier als Wende angepriesen wird, ist keine. Es geht nur um andere Antriebskonzepte und um Digitalisierung.

Ohne eine echte Wende in den Verkehrsarten durch eine andere Stadtpolitik, wie sie in vielen Städten in Europa gemacht wird, etwa in Kopenhagen oder Wien, werden wir nicht vorankommen. 

Was muss also geschehen?

Für Bürger und Industrie muss sich das Umsteigen rechnen, und die Städte müssen im Sinne des Städtetages attraktiver gemacht werden.

Das heißt: Nötig ist eine spürbare CO2-Abgabe auf Mineralöl, denn der Benzin- und vor allem Dieselpreis sind einfach zu niedrig. Derzeit ist es ja oft günstiger, einen Plug-in-Hybrid mit Diesel zu betanken als ihn mit Strom zu laden. Das Geld würde reichen, um eine Mobilitätsprämie für alle zu finanzieren, die für nachhaltigere Autos und zudem für Bus, Bahn und Fahrrad genutzt werden kann.

Und dann muss sofort ein Stadtentwicklungsprogramm aufgelegt werden, das die Innenstädte und den lokalen Einzelhandel rettet. Zudem brauchen wir statt der bestehenden Straßengesetze, die teils noch aus den 1930er Jahren stammen, eine neue Mobilitätsordnung, die die jahrzehntelange Dominanz des Automobils in den Städten ablöst.

Am gestrigen Mittwoch hat die europäische Mobilitätswoche begonnen, mit der die EU-Kommission die Mobilitätswende voranbringen soll. Macht Deutschland mit?

Den Termin scheint Bundesverkehrsminister Scheuer nicht auf dem Kalender zu haben, er meint ja ohnehin, wegen Corona müssten solche Ansätze eher zurückgeschraubt werden. Da müssen die Bürger, Kommunen und Länder schon selbst aktiv werden.

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