Karikatur: Familie sitzt im Auto, Abgase werden in Fahrgastraum geleitet. Kind sagt:
Verkehrsmittel werden hierzulande noch zu 95 Prozent fossil angetrieben. (Karikatur: Gerhard Mester/SFV)

Klimareporter°: Herr Baumann, die Ökoenergiebranche starrt auf das politische Ringen bei der EEG-Novelle – die Bundesregierung muss aber bis Mitte 2021 auch die sogenannte RED-II-Richtlinie der EU umsetzen. Damit müssen die EU-Länder 2030 mindestens 14 Prozent erneuerbare Energien im Verkehr einsetzen.

In Deutschland soll RED II vor allem über die Treibhausgasminderungs-Quote umgesetzt werden. Ein neuer Entwurf des entsprechenden Gesetzes aus dem Bundesumweltministerium liegt seit Anfang November vor. Liest man die Kommentare der Ökobranche zu dem Entwurf, muss er so schlimm sein wie der zur EEG-Reform ...

Elmar Baumann: Ja, ich bin über den Gesetzentwurf zur RED-II-Umsetzung erschüttert.

Warum? Weil das Ministerium zum Beispiel den Einsatz von Elektromobilität bei der Treibhausgasminderung mehrfach anrechnen will? Diese Supercredits kennen wir doch schon aus den Tricks, wie Autohersteller ihre Flotten sauber rechnen dürfen.

Mit der RED-II-Umsetzung will das Bundesumweltministerium offenbar bestimmte technische Optionen bevorzugen. Dazu sollen unter anderem der Einsatz von E-Mobilität sowie von grünem Wasserstoff in Mineralölraffinerien besonders gefördert werden.

Anders als bisher sollen dazu bei der Treibhausgasminderungsquote, der THG-Quote, Mehrfachanrechnungen erlaubt sein. Die Quote gibt vor, um wie viel Prozent die Emissionen der Antriebsenergie im Straßenverkehr reduziert werden müssen.

Das soll so funktionieren: Bei einem Elektrofahrzeug wird zunächst der reale Emissionsfaktor genommen, wie er sich ergibt, wenn das Fahrzeug den deutschen Strommix tankt und damit fährt. Der Beitrag, den das E-Fahrzeug damit zur Emissionsminderung leistet, soll dann aber vierfach auf die THG-Quote angerechnet werden.

Ob eine Mehrfachanrechnung zur Technologieförderung gerechtfertigt ist – darüber kann man geteilter Meinung sein. Wirklich problematisch aber wird das Vorgehen, weil das Bundesumweltministerium den Bilanztrick als reale Einsparung verbucht.

Denn die errechnete Einsparung findet in dem Maße ja nicht statt. Mit den im Gesetz geplanten Mehrfachanrechnungen der E-Mobilität wie anderer Technologien wird der Klimaschutz im Verkehr zu einem Phantom.

Der Klimaeffekt von grünem Wasserstoff in Raffinerien, der künftig statt aus Erdgas hergestelltem Wasserstoff eingesetzt wird, soll laut Gesetzentwurf zweifach angerechnet werden. Wenn real also ein fossiles Molekül Methan ersetzt wird, sollen für den Klimaschutz zwei Moleküle angerechnet werden – das hört sich doch sehr schräg an.

Porträtaufnahme von Elmar Baumann.
Foto: Die Hoffotografen/​VDB

Elmar Baumann

Der studierte Biotechnologie- und Wirtschafts­ingenieur ist seit 2009 Geschäfts­führer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoff­industrie (VDB). Im VDB haben sich größere Hersteller von Agrokraft­stoffen organisiert, darunter ADM, Cargill, Evonik und Verbio. Die Mitglieder repräsentieren nach Verbands­angaben 60 Prozent der inländischen Produktion.

Genau. In dem Gesetzentwurf lassen sich weitere Nebelkerzen finden. Laut der EU-Richtlinie soll der Anteil der Erneuerbaren im Verkehr von zehn Prozent 2020 auf 14 Prozent 2030 steigen.

Das reicht bei Weitem nicht aus, um im Verkehr – dem Sektor also, der bisher so gut wie nichts zur CO2-Minderung beitrug – das vom Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegte 2030er Ziel zu erreichen. Sehenden Auges ignoriert das Umweltministerium also das 2030er Verkehrsziel.

Zudem sieht der Gesetzentwurf eben nur eine geringe Steigerung der THG-Quote von 2020 bis 2025 vor – und zwar von sechs auf 6,5 Prozent. In der 6,5-Prozent-Quote für 2025 stecken aber die besagten Mehrfachanrechnungen. Hinter dem leichten Anstieg der Quote verbirgt sich deswegen – und das ist absurd – gar nicht mehr, sondern weniger Klimaschutz.

Wie das?

Betrachtet man, vereinfacht gesagt, die THG-Quote als einen Kuchen: Der wird in diesem Jahr 2020 vollständig "aufgegessen". Die Marke von sechs Prozent Minderung wird dabei vor allem durch Biokraftstoffe erfüllt. Bis 2025 kommen dann zwei neue "Esser" hinzu: die E-Mobilität und der Wasserstoff in der Mineralölindustrie – der Kuchen bleibt aber nahezu gleich groß.

Hinzu kommt eben: Die E-Mobilität darf sich künftig immer vier "Stücke" nehmen und der Wasserstoff zwei, andere Technologien aber jeweils nur ein Teil, wenn überhaupt etwas übrigbleibt.

Die Folge: In fünf Jahren wird der reale Anteil der Erneuerbaren im deutschen Verkehr geringer sein als heute. Wir werden dadurch höhere Emissionen haben. Das ist aus Sicht der Biokraftstoffwirtschaft eine wirtschaftliche und aus Sicht der Bürger eine klimapolitische Katastrophe.

Statt dieser verkorksten Umsetzung der RED II müsste die Bundesregierung beherzt vorangehen. Ansonsten werden wir das Klimaziel im Verkehr für 2030 mit Sicherheit verfehlen.

Erneuerbare Energien im Verkehr einzusetzen bedeutet bislang vor allem, Benzin und Diesel durch Biokraftstoffe zu ersetzen. Mit der E-Mobilität, dem Wasserstoff und den E-Fuels drängen neue und ziemlich große Player in den Markt. Es kann doch sein, dass diese Optionen ausreichen, um die CO2-Emissionen im Verkehr ausreichend zu senken und Biokraftstoffe gar nicht mehr gebraucht werden?

In der Realität ist das nicht der Fall. Biokraftstoffe haben 2019 um die 9,7 Millionen Tonnen Treibhausgase vermieden. Diese Menge durch eine andere Technologie einzusparen, ob elektrische Antriebe oder Wasserstoff, ist bis auf Weiteres nicht möglich.

In der Welt des Bundesumweltministeriums dagegen sollen E-Mobilität und Wasserstoff, die bis 2030 absehbar wenig Klimaschutz liefern werden, durch den Trick der Mehrfachanrechnung die heutigen Biokraftstoffe verdrängen.

Um das Klimaziel 2030 im Verkehr zu erreichen – und das bedeutet eine Reduktion um mehr als 40 Prozent gegenüber heute – werden alle Optionen benötigt. Nicht nur der Einsatz der Erneuerbaren, sondern auch das Vermeiden und Verlagern von Verkehr sowie mehr Effizienz. Alle diese vier Stellschrauben werden gebraucht.

Der Vorwurf an uns, wir wollten das Klimaziel im Verkehr nur mit erneuerbaren Kraftstoffen erreichen, ist Unfug. Dabei ist klar: Ohne einen substanziellen Beitrag erneuerbarer Kraftstoffe ist das Klimaziel im Verkehr nicht zu erfüllen.

Aber einen Beitrag fürs 2030er Klimaziel im Verkehr sollte die RED-II-Umsetzung schon leisten. Wie fällt der nun aus?

Das ist für uns der Gipfel des Ganzen: Mehrere technische Optionen, die zur Erfüllung von RED II zugelassen werden sollen, zählen gar nicht, wenn es darum geht, dass deutsche Klimaziel 2030 zu erfüllen.

Das deutsche Klimaschutzgesetz gibt bekanntlich für die einzelnen Sektoren, also auch für den Verkehr, verbindliche Ziele vor. Hier können Einsparungen aber nicht mehrfach angerechnet werden.

Zu allem Überfluss können im Rahmen der THG-Quote auch technologische Optionen berücksichtigt werden, die überhaupt nicht fürs deutsche Verkehrsziel anrechenbar sind.

Dazu sollen die sogenannten Upstream-Emissionsminderungen gehören.

Wenn Sie außerhalb Europas bei der Erdölförderung das Begleitgas nicht mehr abfackeln oder ablassen, können Sie sich das auf die Treibhausgasminderungsquote hierzulande anrechnen lassen. Diese Reduzierung der Methanemissionen ist eine feine Sache, hat aber mit dem deutschen Verkehr wenig zu tun und ist eben deshalb aufs Klimaziel im Verkehr nicht anrechenbar.

Rechnet man diese sowie alle anderen virtuellen Einsparungen durch die Mehrfachanrechnungen heraus, so summiert sich das schon 2025 auf zehn Millionen Tonnen Treibhausgase, die zwar bei der Treibhausgasquote als "eingespart" abgerechnet, aber real im Verkehrssektor nicht eingespart werden.

Natürlich kann man aus industriepolitischen oder klimapolitischen Gründen alle möglichen Erfüllungsoptionen auf die THG-Quote anrechnen. In dem Fall müsste dann aber, um diesen Effekt auszugleichen, die Quote deutlich heraufgesetzt werden.

Für den aktuellen Gesetzentwurf des Umweltministeriums hieße das: Allein um den Klimaschutzbeitrag der etablierten Biokraftstoffe zu behalten, müsste die Quote auf elf Prozent im Jahr 2025 steigen – vorgesehen sind, wie gesagt, läppische 6,5 Prozent.

E-Mobilität und Wasserstoff werden eigentlich durch ganz andere Instrumente als die THG-Quote gefördert. Der Hochlauf der E-Mobilität beruht auf der Kaufprämie, auf den Flottengrenzwerten der EU sowie auf Steuererleichterungen, aber sicher nicht auf der Anrechnung auf die Quote.

Die Förderung gerade der Elektromobilität nach dem Gesetzentwurf läuft deshalb auf einen Mitnahmeeffekt hinaus. Das Umweltministerium möchte gern über die Anrechenbarkeit der E-Mobilität Investitionen in Ladesäulen attraktiver machen.

Wenn man auf strombasierte Kraftstoffe schaut, könnte für diese E-Fuels die bestehende Biokraftstoff-Infrastruktur so etwa ab 2030 ein Türöffner sein, weil sich E-Fuels ähnlich behandeln und einsetzen lassen – oder?

Bis wann Biokraftstoffe für den Klimaschutz im Verkehr zwingend erforderlich sind, das vermag ich nicht zu sagen. Der Anteil fossiler Energie im Verkehr beträgt im Moment etwa 95 Prozent. Wir werden also noch eine geraume Zeit eine Knappheit bei der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien haben, vermutlich auch noch nach 2030.

Sie haben vollkommen recht, dass strombasierte Kraftstoffe zukünftig eine sinnvolle Ergänzung von Biokraftstoffen sein können. Allerdings ist weder in der RED-II-Richtlinie noch im Gesetzentwurf des Ministeriums eine Förderung von Power-to-Gas und Power-to-Liquid im Straßenverkehr vorgesehen, obwohl das erforderlich wäre, um den Hochlauf der Technologie zu starten und nach 2030 größere Kraftstoffmengen zur Verfügung zu haben.

Da bereitet mir mehr Sorgen, dass dieser Gesetzentwurf zur Umsetzung von RED II offensichtlich fehlgeleitet ist. Biokraftstoffe können im Verkehr vielmehr das Fundament bilden, und da könnten on top E-Mobilität, Wasserstoff und strombasierte Kraftstoffe draufkommen.

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