Nicht nur die Rügener, auch Umwelt- und Klimaschützer sind gegen den LNG-Boom. (Bild: Laura König)

Wenn die Urlaubssaison näherrückt, geht Kai Gardeja eher ungern auf die Frage ein, ob und wie sich das LNG-Terminal auf der Insel Rügen konkret auswirkt.

Auswirkungen gebe es leider "zuhauf", erklärte der Tourismusdirektor des Ostsee-Badeortes Binz diese Woche bei einem Medientermin. Die tolle Naturlandschaft und das küstennahe Mikroklima seien für die Binzer und ihre Gäste eine Art "ortsgebundene Heilmittel".

Diese litten jetzt unter dem Flüssigerdgas-Projekt im nahen Hafen Mukran, sagt Gardeja. Schon jetzt sei ein deutlich kritischeres Buchungsverhalten der Besucher zu verzeichnen. Davon seien, wie er wisse, gerade auch die unmittelbar am Hafen liegenden Orte Mukran und Sassnitz betroffen.

Deswegen könne er wie auch viele andere Menschen in den mehr als 30 Gemeinden auf Rügen nicht verstehen, warum sich die Stadt Sassnitz für das Terminal und damit gegen viele kleine und mittelständische Unternehmen entschied, die vom Tourismus lebten.

Aus der Sicht von Gardeja gibt es weltweit keine vergleichbare Anlage, die so nah an Tourismus- und Wohngebieten betrieben werde. Über die künftigen Umweltauswirkungen habe der bisherige Probebetrieb mit nur einem statt der geplanten drei Schiffe noch keine Aussagekraft, so der Tourismuschef weiter. Die ganze Entwicklung sei eine "Großindustrialisierung" der Ostsee.

Klagen bisher nur "summarisch" behandelt

Gegen das LNG-Terminal will die Gemeinde Binz selbst noch Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einreichen. Am heutigen Donnerstag will das Gericht in Leipzig ab 11 Uhr zunächst Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) verhandeln.

Diese richten sich konkret gegen zwei Planfeststellungsbeschlüsse zum Bau der Anbindungsleitung, die, auf dem Meeresboden verlegt, über 50 Kilometer den Hafen Mukran mit der Ferngasnetz-Einspeisestelle in Lubmin am Greifswalder Bodden verbindet.

Ob es dazu heute Abend schon ein Urteil gibt, ist nicht klar. Für die beiden Umweltverbände steht weiterhin fest: Der Bau der Pipeline ohne umfassende Umweltprüfungen war rechtswidrig. Die Baugenehmigung müsse aufgehoben werden.

Politisch fordern Umwelthilfe und Nabu weiter ein Moratorium für den LNG-Ausbau in Deutschland. Die Projekte müssten auf Eis gelegt werden, bis ihre Klima- und Umweltfolgen ausreichend berücksichtigt sind. Dann erst könne man sehen, welches Projekt gerechtfertigt ist, erklärten die Verbände im Vorfeld der Verhandlung.

Ihre Klagen sind direkt beim Bundesverwaltungsgericht gelandet, eine Folge des LNG-Beschleunigungsgesetzes, das den Klageweg drastisch verkürzte.

Bisher seien ihre Einwände auch nur "summarisch" geprüft worden, erklären die Klagevertreter zum Verfahren. Heute müsse sich das Gericht nun erstmals ausführlich mit ihren Argumenten auseinandersetzen.

Umweltverbände sehen keine Gasmangellage

Zwar sei der größte Schaden an der Natur der Ostsee durch den Bau schon eingetreten, die Klagen seien deswegen aber nicht weniger wichtig, betont DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Zum einen gehe es um die grundsätzliche Frage, dass ein so großes Infrastrukturvorhaben nicht ohne Umweltverträglichkeitsprüfung durchgezogen werden dürfe, erläutert Müller-Kraenner. Zum anderen habe es bisher keine Gesamtschau auf die Auswirkungen des Flüssigerdgas-Projekts gegeben, weder auf die Natur der Ostsee noch aufs Klima.

Eine Plattform und in einiger Entfernung ein Schiff etwa einen Kilometer vor der Küste, das Wetter ist diesig.
LNG-Tanker und Plattform vor Rügen: Einen schleichenden Wandel in Richtung Industrieregion befürchten Anwohner und Umweltschützer. (Bild: Screenshot/​Constantin Zerger/​Twitter)

An den Begründungen der Bundesregierung, weshalb das Umweltrecht hier "über die Klinge springen" müsse, wie Müller-Kraenner es formuliert, stören ihn am meisten die Behauptungen über eine Notfallsituation und sogenannte Gasmangellage.

Angeblich sei das Rügener Terminal für den gerade vergangenen Winter dringend nötig gewesen, erinnert Müller-Kraenner an entsprechende Aussagen. Tatsächlich aber seien die Erdgasspeicher mehr als gut gefüllt. "Wir haben definitiv keine Gasmangellage, die eine Abwägung gegen den Naturschutz und gegen demokratische Beteiligungsrechte rechtfertigt."

Auch für Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln gibt es keine Notwendigkeit, die LNG-Infrastruktur in Deutschland weiter auszubauen. Auch ohne das Rügener Terminal gebe es genügend Erdgas-Importmöglichkeiten aus Ländern wie Norwegen oder Belgien.

Ohnehin seien die bestehenden Terminals derzeit nur zu 50 Prozent ausgelastet, führt der Klimaexperte an. Selbst für den Fall, dass eine Gaspipeline ausfällt, seien genügend Kapazitäten in anderen Leitungen verfügbar. Der wahre Weg zu mehr Energiesicherheit ist für Höhne denn auch ein anderer: Die Abhängigkeit von fossilen Energien müsse dringend reduziert werden.

Scharfe Kritik am grünen Wirtschaftsminister

Nabu-Geschäftsführer Leif Miller hebt seinerseits die Schäden an der Natur hervor, die Bau und Betrieb des LNG-Terminals mit sich bringen. Die Ostsee sei "flächendeckend" in keinem guten Zustand. Gründe dafür lägen in Schifffahrt, Fischerei und Landwirtschaft. Durch den Pipeline-Bau seien schon jetzt in Schutzgebieten weitere 100.000 Quadratmeter Riffe zerstört wurden.

Miller macht seinem Ärger deutlich Luft. "Dass ein grüner Wirtschaftsminister einmal die Beteiligungsrechte von Umweltverbänden und Bürgerrechte beschneidet, hätte ich mir niemals träumen lassen", klagt er. Das habe man nicht allein bei diesem Projekt erleben müssen.

Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, die die Verbände vertritt, sieht das Verfahren in Leipzig als einen Indikator dafür, ob in Deutschland von den staatlichen Stellen effektiver Klimaschutz tatsächlich gewollt und von der Zivilgesellschaft durchsetzbar ist.

Bei den bisherigen "summarischen" Betrachtungen in den Eilverfahren habe das Gericht allein den Behauptungen der Betreiberfirma und des genehmigenden Bergamts Stralsund geglaubt, schildert die Anwältin den Verlauf. Klare Nachweise seien nicht verlangt worden.

"Spätestens seit dem Sommer 2023 ist die Energieversorgung nicht mehr akut gefährdet", bekräftigt Ziehm. Das Klimaschutz-Argument müsse deswegen wieder mehr Gewicht erhalten. "Wir dürfen rechtlich nicht mit dem Stand von Frühjahr 2022 weitermachen", fordert sie.

Sascha Müller-Kraenner von der DUH teilt übrigens die Auffassung des Tourismusdirektors, dass das Rügener LNG-Terminal für den Einstieg in eine Industrialisierung der Insel steht. Denn es werde auch argumentiert, so Müller-Kraenner, dass später eine Wasserstoff-Infrastruktur geschaffen werden könne, die wiederum die Ansiedlung energieintensiver Betriebe nach sich zöge – bis hin zu einem riesigen Industriepark.