Aysel Osmanoglu. (Bild: Martin Steffen)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS Bank.

Klimareporter°: Frau Osmanoglu, klimaschädliche Subventionen im Verkehr hebeln die CO2-Bepreisung vollkommen aus, zeigt eine Untersuchung für das Forschungsministerium. Bis zu 690 Euro Belohnung gibt es demnach für eine ausgestoßene Tonne CO2. Was würden Sie zuerst auf den Prüfstand stellen – die Pendlerpauschale, das Dienstwagenprivileg oder die Dieselsubventionen?

Aysel Osmanoglu: Auch die Wissenschaftsplattform Sustainable Finance belegt in ihrer jüngsten Untersuchung die Notwendigkeit politischer Rahmenbedingungen für eine ausreichende Lenkungswirkung von Kapitalflüssen. Der CO2-Preis ist eine sinnvolle Maßnahme, wird aber konterkariert von ineffizienten Verkehrs-Subventionen.

Als GLS Bank haben wir eine eigene Tochter, die sich ausschließlich mit Mobilitätsalternativen beschäftigt, die GLS Mobility. Daher würde ich als Erstes das Dienstwagenprivileg abschaffen. Unternehmen sollten einen Anreiz haben, alternative Mobilitätskonzepte auszuprobieren: ob Jobrad, bezahltes Bahnticket oder eine Sharing-E‑Autoflotte. Auch Kooperationen mit bestehenden Sharing-Anbietern sind schon heute leicht umzusetzen.

Mit 560 zu 43 Stimmen hat das Europäische Parlament am Mittwoch für den Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag gestimmt. Im Mai sollen dem auch die Regierungen der EU-Staaten zustimmen. Wie lange wird es noch dauern, bis Klagen von Investoren gegen die Energiewende oder gegen höhere Umweltstandards der Vergangenheit angehören?

Der Austritt ist ein wichtiger Schritt und signalisiert, welche Bewegung gerade auf EU-Ebene stattfindet: Ohne die Sonderregelung des Energiecharta-Vertrags sind private Schiedsgerichte nicht mehr möglich. In deren Rahmen ließen Großkonzerne immer wieder fossile Investitionen schützen und bremsten Klimaschutzmaßnahmen gefährlich aus.

Auf einer anderen Ebene hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jüngst Klimaschutz als Menschenrecht anerkannt. Damit erhöht jetzt erstmals auch das Gericht in Straßburg aus Menschenrechtsperspektive den Druck auf die Mitgliedsstaaten.

Diese Entwicklungen halte ich für wichtige demokratische Erfolge. Sie begrenzen die Entscheidungs- und Verhandlungsmacht derer, die jahrzehntelang von klimaschädlichen Wirtschaftsweisen profitiert haben.

Deshalb glaube und hoffe ich, dass Milliardenklagen großer Ölkonzerne auf vermeintlich entgangene künftige Gewinne endlich der Vergangenheit angehören.

Im Norden Berlins entsteht das Öko-Quartier Kokoni One. Mit Holz als Baustoff, Geothermie und dachintegrierter Photovoltaik gilt das Viertel als nachhaltiges Vorzeigeprojekt. Dort Wohnungen zu kaufen, ist für normal Verdienende aber kaum erschwinglich. Kann im Wohnungsbau ökologisches und preiswertes Wohnen überhaupt zusammenkommen?

Das ist eine wesentliche Frage, die ich unbedingt mit "Ja" beantworte. Mir ist bewusst, dass Neubauprojekte auch für gut verdienende Menschen bedeutet, sich ein Leben lang zu verschulden.

Deswegen setzen wir bei der GLS Bank beim Grundbedürfnis Wohnen auf die Gemeinschaft. Um eine gute Quartiersdurchmischung zu erhalten, sind auch Sozialwohnungen ein fester Teil der Pläne. Diese werden häufig mit vergünstigten Krediten und Zuschüssen vom Land oder von Kommunen unterstützt.

Auch favorisieren wir einen ökologischen Umbau vor Neubau. Wir setzen auf serielle Bauweise, die günstiger ist. Hinzu kommt, dass wir die Projekte anders planen: Mehr Gemeinschaftsflächen und weniger Einzelflächen sorgen dafür, dass insgesamt weniger Quadratmeter nötig sind. Auch das spart Ressourcen.

Es gibt also viele Stellschrauben. Die wichtigste ist, dass der Spekulation mit Wohnraum und Boden ein Ende gesetzt wird.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Der Zwölf-Punkte-Plan der FDP hat mich überrascht. Inhaltlich deshalb, weil modernes Wirtschaften nur unter Berücksichtigung sozialer und ökologischer Elemente funktioniert. Wir benötigen für den Wirtschaftsstandort Deutschland eine autarke und nachhaltige Energieinfrastruktur.

Auch Forderungen nach Sanktionsverschärfungen im Bürgergeld irritieren. Laut Erhebung der Bundesagentur für Arbeit handelt es sich bei den sogenannten "Totalverweigerern" um 0,86 Prozent der Bürgergeldempfänger:innen. Es überrascht mich, dass wir im Jahr 2024 elementare Bestandteile unseres Miteinanders, wie die soziale Absicherung vulnerabler Gruppen, gegen einen Wirtschaftsbegriff der Neunzigerjahre ausspielen.

Unabhängig von einzelnen Vorschlägen verwundert das Vorgehen insgesamt: Wen will eine Koalitionspartei, die in mehreren Ministerien federführend regiert, mit einem Zwölf-Punkte-Plan ansprechen?

Fragen: Jörg Staude