In den beiden Monaten seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind Russlands Einnahmen für Energieexporte wegen der gestiegenen Preise auf den Märkten für Erdöl, Erdgas und Kohle deutlich angestiegen. Sie beliefen sich nach einer Analyse der unabhängigen Forschungsorganisation Centre for Research on Energy and Clean Air (Crea) in dieser Zeit auf 63 Milliarden Euro. Deutschland war danach mit 9,1 Milliarden Euro weltweit der größte Einkäufer von fossilen Energien aus Russland.
Der Bericht erfasst die russischen Energieexporte im Zeitraum vom 24. Februar bis 24. April. Dafür wurden Daten aus dem Schiffsverkehr sowie Daten zu Pipeline-Transporten ausgewertet. Von den 63 Milliarden für Russland kamen danach mehr als zwei Drittel (71 Prozent) aus Ländern der EU, nämlich 43 Milliarden Euro. Deutschland als größter Zahler wird gefolgt von Italien (6,9 Milliarden), China (6,7), den Niederlanden (5,6), der Türkei (4,1) und Frankreich (3,8).
In Deutschland machen die Zahlungen für Erdgas den Löwenanteil aus, nämlich 6,4 Milliarden Euro. Für Rohöl und Ölprodukte wurden 2,6 Milliarden und für Kohle 93 Millionen überwiesen. Die Ausgaben entsprechen rund 150 Millionen Euro pro Tag respektive mehr als 100 Euro pro Einwohner in Deutschland seit Kriegsbeginn.
Laut der Crea-Analyse machen auch die großen Ölkonzerne weiterhin Geschäfte mit Russland. Die Experten verfolgten nach eigenen Angaben Lieferungen von fossilen Brennstoffen an Anlagen oder Schiffe, die unter anderem mit den Unternehmen BP, Exxon, Repsol, Shell und Total verbunden sind.
Dabei habe sich aber auch gezeigt, dass bereits die bisherigen begrenzten Sanktionen wirkten: Die Rohöl-Lieferungen aus Russland an ausländische Häfen seien in den ersten drei Aprilwochen um 20 Prozent gegenüber Januar/Februar zurückgegangen. Zwar hätten die Exporte nach Indien, Ägypten und anderen "ungewöhnlichen" Zielländern zugenommen, dies reiche aber bei Weitem nicht aus, um den Rückgang der Exporte in die EU auszugleichen.
Deutschland stoppt Erdöl, aber nicht Erdgas
Die EU hat ein Importembargo für Kohle beschlossen, das ab August in Kraft tritt. Es wird erwartet, dass die Europäische Kommission demnächst auch ein Erdöl-Embargo vorschlägt. Bisher hatte die Bundesregierung sich dagegen ausgesprochen, am Dienstag bezeichnete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diesen Schritt aber als "handhabbar". Der Anteil russischer Öllieferungen ist bereits von 35 auf zwölf Prozent gesunken.
Ein Erdgas-Embargo hat Berlin ausgeschlossen. Plan ist, die Lieferungen nach und nach bis Mitte 2024 auf null herunterzufahren.
Crea-Analyst Lauri Myllyvirta sagte: "Die Ausfuhr fossiler Brennstoffe ist ein wichtiger Faktor, der Putins Regime und viele andere Schurkenstaaten unterstützt." Die fortgesetzten Energieimporte seien die größte Lücke bei den gegen Russland verhängten Sanktionen.
Jeder, der die russischen Brennstoffe kaufe, mache sich mitschuldig an den Verletzungen des Völkerrechts durch das russische Militär. Alle Importe fossiler Brennstoffe könnten mittelfristig durch erneuerbare Energien und Energieeffizienz-Maßnahmen ersetzt werden.
Bernice Lee vom staatsnahen britischen Thinktank Chatham House kommentierte: "Zwei Monate nach Putins Einmarsch in die Ukraine finanziert Deutschland die russische Kriegskasse immer noch mit rund 4,5 Milliarden Euro pro Monat." Die Welt erwarte von der Bundesrepublik, dass sie Stärke und Entschlossenheit gegenüber Russland demonstriere, stattdessen finanziere sie den Krieg und blockiere ein EU-Embargo gegen russisches Öl.
Ähnlich argumentiert die deutsche Energieökonomin Claudia Kemfert. "Solange Deutschland weiterhin fossile Brennstoffe kauft, sowohl von Russland als auch von anderen Autokraten, untergräbt es sowohl seine Glaubwürdigkeit als auch seine Energiesicherheit", sagte sie.
Kein russisches Erdgas mehr für Polen und Bulgarien
Am Dienstagabend war bekannt geworden, dass Russland die Erdgaslieferungen an Polen und Bulgarien kappt. Die Regierungen in Warschau und Sofia teilten mit, der russische Staatskonzern Gazprom habe die Einstellung der Lieferungen angekündigt.
Betroffen ist unter anderem die Jamal-Pipeline, die über Weißrussland und Polen bis nach Deutschland verläuft. Warschau hatte wiederholt erklärt, dass Polen der Forderung der russischen Regierung, das Gas künftig in Rubel zu bezahlen, nicht nachkommen werde. Moskau hatte mit einer Kürzung der Gaslieferungen gedroht, falls EU-Länder nicht in Rubel zahlten.
Schnelle Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit hierzulande haben die Schritte wohl nicht. Die Jamal-Pipeline ist nur eine von drei russischen Gasleitungen in Richtung Deutschland, und laut Daten der Bundesnetzagentur kam über sie in den letzten Monaten ohnehin nur wenig Gas an. Die Versorgung sei derzeit weiter gewährleistet, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums nach den Berichten aus Polen. "Wir beobachten die Lage genau."
Auch die polnische Regierung gibt sich gelassen. "Wir sind auf eine vollständige Einstellung der russischen Rohstofflieferungen vorbereitet", sagte Klimaministerin Anna Moskwa in Warschau. Polen hat in den letzten Jahren seine Abhängigkeit von russischen Lieferungen deutlich verringert, unter anderem durch den Bau eines LNG-Terminals an der Ostseeküste.
Redaktioneller Hinweis: Energieökonomin Claudia Kemfert ist Herausgeberratsmitglied von Klimareporter°.