Demonstration mit einem großen Frontal-Banner, auf dem steht Cancel Debt for People and Planet.
Ein bedingungsloser Schuldenerlass wäre angemessen, doch der Forderung fehle es bisher an politischem Schwung, sagt Jan Kowalzig. (Bild: Debt For Climate)

Klimareporter°: Herr Kowalzig, die Klimafinanzierung ist eines der großen klimapolitischen Streitthemen auf internationaler Bühne. Wie viel Geld sind die für den Klimawandel hauptverantwortlichen Industrienationen den besonders stark darunter leidenden Entwicklungsländern schuldig? Auch auf der Klima-Zwischenkonferenz in Bonn wurde diese Frage die letzten Tage diskutiert. Kamen die Verhandlungen voran?

Jan Kowalzig: Prozedural ja, inhaltlich nein. Derzeit geht es bei den Verhandlungen vor allem darum, ein neues Klimafinanzierungsziel für die Jahre ab 2025 zu definieren, ein "Post-2025-Ziel".

Für die Zeit zwischen 2020 und 2025 haben die Industrienationen den Entwicklungsländern jährlich 100 Milliarden Dollar zugesagt. Die ersten zwei Jahre versäumten die reichen Länder zwar ihr Versprechen einzuhalten, aber seit 2022 ist die Zielmarke erreicht – auch wenn es berechtigte Kritik an der Art der Finanzierung gibt.

Nun muss also ein Post-2025-Ziel verhandelt werden. Erstens, weil das 100-Milliarden-Versprechen ausläuft, und zweitens, weil diese Summe bei Weitem nicht ausreicht.

Hier in Bonn ging es vor allem darum, den entsprechenden Beschlussentwurf von völlig übertriebenen 65 Seiten auf immerhin 35 Seiten zu straffen. Dieser kleine technische Fortschritt kann die Verhandlungen auf der Weltklimakonferenz im November in Baku erleichtern.

Inhaltlich hat sich aber wenig bewegt. Die Entwicklungsländer haben ihre Maximalforderungen wiederholt und die Industrienationen haben versucht, das Thema zu vermeiden. Es wurde kaum miteinander diskutiert und dementsprechend ging es bei den großen Streitpunkten auch nicht voran.

Die Industrieländer gehen also gar nicht auf die Forderungen der Entwicklungsländer ein? Im Grunde verpflichtet sie das Pariser Klimaabkommen doch dazu, die ärmeren Länder finanziell zu unterstützen ...

Die Formulierung im Paris-Abkommen ist ziemlich schwach. Aber, ja, die Industrieländer sind völkerrechtlich zur Klimafinanzierung verpflichtet. Der Auftritt einiger Industrieländer während den Verhandlungen erweckt allerdings schon den Eindruck, dass sie versuchen, ihre rechtliche Verpflichtung abzuschwächen oder möglichst schwach auszulegen.

Bestimmte Formulierungen werden gewählt oder eben vermieden. Während die Entwicklungsländer etwa gerne konkret über Summen und Finanzierungsmöglichkeiten diskutieren wollen, lassen sich die Industrienationen auf keinerlei Handfestes ein. Weder schlagen sie selbst eine konkrete Summe vor, noch gehen sie auf die Vorschläge anderer Länder ein.

Entwicklungsländer fordern, dass bei der Klimafinanzierung neben Klimaschutz und Klimaanpassung auch die unvermeidbaren Schäden durch den Klimawandel berücksichtigt werden. Die Industrieländer versuchen das aus der ganzen Diskussion rauszuhalten. Sie fordern stattdessen, dass sich mehr Länder bei der Klimafinanzierung beteiligen.

Also wirtschaftlich starke Länder wie China, die nach der UN-Definition nicht als Industrieländer gelten, sollen auch mit in die Pflicht genommen werden ...

Genau. Und dafür gibt es auch aus Sicht der Industrieländer vernünftige Gründe. Man kann gut argumentieren, dass diese 30 Jahre alte Aufteilung der Welt in Industrie- und Entwicklungsländer nicht mehr zeitgemäß ist. Insbesondere angesichts der enormen Wirtschaftsleistung und Treibhausgasemissionen von Ländern wie China.

Es war klar, dass die anwesenden Verhandler:innen diese grundlegenden Konflikte nicht lösen werden. Das übersteigt ihr Mandat. Nun müsste die aserbaidschanische Konferenzpräsidentschaft deshalb beginnen, mit den verschiedenen Ländern ins Gespräch zu gehen, um die Knoten zu lockern.

Wenn sie damit jetzt nicht anfängt, wird es schwierig werden, in Baku sinnvolle Einigungen zu erzielen.

Die arabischen und afrikanischen Staaten fordern ab 2025 zwischen 1,1 und 1,3 Billionen Dollar pro Jahr bis 2030. Finanziert werden könnte dies nach Ansicht der Länder über eine Finanztransaktionssteuer und eine Klimasteuer. Ist das realistisch?

Ich halte die Forderung sogar für relativ moderat. Natürlich ist das ein großer Sprung von den gegenwärtigen 100 Milliarden.

Aber die notwendige Finanzierung ist nicht davon abhängig, was die Industrieländer bereit sind zu geben, sondern was die ärmsten Länder brauchen, um mit der Klimakrise umzugehen. Da sind die 1,3 Billionen noch vergleichsweise bescheiden, und auf jeden Fall eine Summe, über die man reden können muss.

Bild: Oxfam

Jan Kowalzig

ist Spezialist für Klima­finanzierung und -politik bei der Entwicklungs­organisation Oxfam Deutsch­land. Er verfolgt seit vielen Jahren die UN-Klima­verhandlungen. Zuvor war Kowalzig mehrere Jahre in Brüssel für den Umwelt­dach­verband Friends of the Earth Europe tätig.

Was die Finanzierung angeht – da gibt es alle möglichen Wege. Das kann eine Transaktionssteuer sein, aber es gibt auch andere Vorschläge. Brasilien versucht etwa auf der G20-Ebene gerade eine globale Mindeststeuer für Milliardäre umzusetzen.

Auch Einkünfte aus solchen Ansätzen wären für die globale Transformation zu einer klimaresilienten Gesellschaft denkbar.

Da gibt es viele ernstzunehmende Vorschläge. Höhere Abgaben auf fossile Energien oder Schuldenerlass – das muss alles diskutiert werden. Klar ist, dass sich die notwendigen Summen in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht einfach aus den Haushalten der Industrienationen abzweigen lassen.

Eine bedingungslose Schuldenstreichung wird von zahlreichen Initiativen gefordert. Es ist etwa eine der Kernforderungen der Aktivist:innen, die derzeit gegen den G7‑Gipfel in Italien protestieren. Findet diese Forderung auf Klimakonferenzen wie in Bonn Gehör?

Ein umfassender Schuldenerlass für die hoch verschuldeten Länder wäre insgesamt sicher ein angemessener Schritt. Nicht nur bezüglich der Klimakrise, sondern auch angesichts anderer sozialer Herausforderungen, etwa im Bildungs- und Gesundheitssystem.

Momentan gibt es hinter dieser Forderung wenig politisches Momentum. Das kann sich in den kommenden Jahren aber durchaus ändern.

Was diskutiert wird, sind "Debt-for-Climate-Swaps". Dabei wird der Schuldenerlass an Investitionen in Klimaschutz und -anpassung gekoppelt.

Die Idee dahinter klingt erstmal gut, ist aber bei genauerer Betrachtung fragwürdig: Den ärmsten Ländern wird vorgeschrieben, ihr kriegt die Schulden erlassen, aber nur, wenn ihr bestimmte Klimaschutzmaßnahmen ergreift. Nicht nur greift das stark in die Souveränität dieser Länder ein, sondern diese Länder haben, wie gesagt, auch noch andere drängende Probleme, für die Geld benötigt wird.

Bisher war es bei diesen Debt-for-Climate-Swaps auch Praxis, dass die Länder ihre Klimaschutzprogramme erstmal vorlegen und absegnen lassen müssen. Da wird also von außen ganz viel über diese Länder bestimmt.

Eigentlich wäre es richtig, den Ländern bedingungslos die Schulden zu erlassen und sie trotzdem bei der Ausgestaltung von Klimaschutzprogrammen zu unterstützen. Diese Länder haben im Zweifel ja selbst das stärkste Interesse an Klimaschutz und -anpassung.

Auch beim G7-Gipfel wird die Klimafinanzierung eine Rolle spielen. Was erwarten Sie von den sieben Industrienationen?

Nicht besonders viel, um ehrlich zu sein. Eigentlich wäre es natürlich die Aufgabe der sieben führenden Industrienationen, eine Ansage zu machen, wie es mit der globalen Klimafinanzierung weitergeht, und zu signalisieren, wo sie bereit wären, auf die einkommensschwächeren Länder zuzugehen.

Viele Hoffnungen auf so ein Signal mache ich mir aber nicht. Dass der G7-Gipfel von einem rechtspopulistisch geführten Italien ausgerichtet wird, hilft sicherlich auch nicht.

Das 100-Milliarden-Versprechen wurde nicht nur verspätet eingelöst, sondern von verschiedenen Seiten kommt auch der Vorwurf, dass sich die Industrienationen ihre Zahlen schönrechnen. Deutschland hat auf dem letzten Klimagipfel ganz stolz behauptet, zehn Milliarden Euro für die Klimafinanzierung bereitzustellen. Wie sind solche Zahlen zu bewerten?

Im Vergleich zu anderen Ländern macht Deutschland da tatsächlich eine ganz gute Figur. Aber Sie haben es angesprochen, ein Problem ist, was alles in diese 100 Milliarden Dollar reingezählt wird.

Zum Beispiel werden Kredite, die zu Marktkonditionen vergeben werden, also Profit für das Geberland abwerfen, als Klimafinanzierung gewertet. Das verzerrt natürlich das ganze Bild.

Kredite machen sogar den Löwenanteil aus, knapp 70 Prozent.

Das andere Hauptproblem ist, dass in vielen vermeintlichen Klimaschutzprojekten kaum Klimaschutz drinsteckt. Viele Projektförderungen werden als Klimafinanzierung verbucht, obwohl der Klimanutzen dabei bezweifelt werden muss.

Die Regeln dafür, was in die 100 Milliarden Dollar reinzählen darf, sind sehr freundlich für die Industrienationen. Nach diesen Regeln haben die Industrienationen ihre Versprechen – mit zwei Jahren Verspätung – erreicht.

Allerdings ist ganz klar: Das sind keine 100 Milliarden Dollar, die den Empfängerländern dann netto zur Verfügung stehen. Ein Großteil muss mit Zinsen wieder zurückgezahlt werden und ein anderer Teil fließt in Projekte, bei denen zumindest unklar ist, wie groß die Klimaschutzwirkung tatsächlich ist.

 

Bei dem Post-2025-Ziel muss also nicht nur die Zielsumme anwachsen, es müssen auch die Regeln überarbeitet werden?

Das wäre auf jeden Fall angebracht. Einige Entwicklungsländer haben diesbezüglich auch konkrete Vorschläge gemacht.

Ein Vorschlag ist, nicht die Kredite selbst anzurechnen, sondern nur ihr Zuschussäquivalent. Das heißt, ein Kredit soll nur in der Höhe als Klimafinanzierung gelten, in der er günstiger für das Empfängerland ist als ein marktüblicher Kredit.

Andere Länder argumentieren, dass Kredite grundsätzlich nicht als Klimafinanzierung gelten dürfen. Da gibt es einige gute Vorschläge.