Porträtaufnahme von Olaf Scholz.
Macht Olaf Scholz diese Woche sozialdemokratische Politik? (Bild: Franz Sauerteig/​Pixabay)

Bundeskanzler Scholz steht diese Woche vor einem doppelten Dilemma. Frühlingshafte Temperaturen schon im Winter, bereits im März und April jagte ein Temperaturrekord den nächsten, die globale Temperatur war erstmals über 1,5 Grad Celsius angestiegen. Ein Alarmsignal aus der Klimaphysik folgt dem nächsten, Wetterextreme werden für Menschen ein reales Problem.

Statt mehr für den Schutz des Klimas zu tun, antwortet die Bundesregierung damit, die Rechtsverbindlichkeit des Klimaschutzgesetzes aufzuweichen. Seit den Bauernprotesten lässt sich verfolgen, wie Parteien und die EU-Institutionen vor immer neuen Interessengruppen einknicken. In der Folge werden ökologische Sicherungssysteme abgeschafft, die unser Überleben sichern.

Mit Putins Angriffskrieg in der Ukraine, der damit einhergehenden geopolitischen Neuordnung und dem militärischen Konflikt im Nahen Osten lässt sich Scholz' zweites Dilemma umreißen. Weltweit wird in einem Maße militärisch aufgerüstet, wie wir es seit über 30 Jahren nicht mehr erlebt haben. Sicherheitspolitik wird vor allem militärisch definiert.

Und das kostet sehr viel öffentliches Geld. Geld in einer Zeit, in der Bundesfinanzminister Christian Lindner seine Politik auf die Einhaltung einer politisch definierten, dann gesetzlich verankerten Schuldenbremse reduziert.

Dabei ist nach Ansicht führender Wirtschaftsinstitute gerade jetzt die Zeit, zu investieren. Denn Investitionen in die ökologische Transformation und den sozialen Zusammenhalt sind Garanten für unsere funktionierende Demokratie. Aber dafür braucht es Geld und finanziellen Spielraum.

Die Frage ist also: Lässt Scholz seinen Finanzminister mit seiner ideologischen Fiskalpolitik gewähren? Denn der von Lindner eng gesteckte finanzielle Rahmen stellt ein Sicherheitsrisiko dar.

Oder organisiert der Bundeskanzler den finanziellen Spielraum, damit Deutschland Sicherheit auch an der existenziellen Klimafront, bei der global eskalierenden Klima- und Naturkrise herstellen kann?

Willy Brandts Außenpolitik setzte auf Kooperation

Diese Woche wird Bundeskanzler Olaf Scholz beim Petersberger Klimadialog sprechen. Vor über 40 Länder-Minister:innen wird der Bundeskanzler der noch immer stärksten Volkswirtschaft Europas eine Antwort geben müssen, wie die Weltgemeinschaft die globalen CO2-Emissionen absenken kann.

Und sie erwarten Antworten, wie dabei diejenigen Länder finanziell unterstützt werden können, die am wenigsten zum Klimachaos beitragen haben, aber am meisten darunter leiden. Denn waren die humanitäre Katastrophe und die volkswirtschaftlichen Kosten im Ahrtal immens, so sind und werden die globalen Folgen des fossilen "Weiter so" verheerend sein.

Foto: Daniel Müller

Martin Kaiser

ist seit 2016 geschäfts­führender Vorstand von Green­peace Deutsch­land. Bei der Umwelt­organisation, für die er sich seit 1998 engagiert, leitete der studierte Geo­ökologe und Forst­ingenieur zuvor inter­nationale Bio­diversitäts- und Klima­projekte und vertrat Green­peace auf den Welt­klima­gipfeln.

Olaf Scholz muss also im internationalen Klimaschutz eine Führungsrolle einnehmen und seiner Verantwortung nachkommen, indem er die Sicherheitspolitik neu und breiter definiert.

Dazu sollte er in seinen eigenen Beschlüssen zur nationalen Sicherheitsstrategie nachlesen: "Die Eindämmung der Klimakrise und der Umgang mit ihren Auswirkungen ist eine der fundamentalen und zugleich drängendsten Aufgaben dieses Jahrhunderts."

Deshalb reicht es nicht aus, eine Sicherheit nur durch militärische Aufrüstung herstellen zu wollen, sondern es braucht eine starke Entwicklungszusammenarbeit sowie eine starke Klimaaußenpolitik. Und für all dies ist das Austeritätsdogma von Christian Lindner Gift.

Eine mit der nötigen Breite angelegte Sicherheitsarchitektur braucht eine solide Finanzierung. Diese sollte Scholz durch ein Sondervermögen Klimaschutz für nationale, aber eben auch internationale Transformation und Krisenabsicherung bereitstellen. Zur Finanzierung könnte national eine kluge, ökologisch ausgestaltete Vermögenssteuer die notwendigen Summen generieren.

International braucht es europäische und internationale Steuern, durch die Konzerne – allen voran die Öl- und Gasindustrien und Fluggesellschaften – sowie das reichste eine Prozent der Weltbürger:innen, die eine überproportionale Schuld an der Klimakrise haben.

Als damaliger Finanzminister hatte sich Olaf Scholz für eine Öffnung der EU für gemeinsame Steuerinstrumente beim Green Deal starkgemacht. Jetzt sollten diese Instrumente durch sein diplomatisches Geschick auch durchgesetzt werden.

Konsequenterweise sollte Olaf Scholz diese Woche beim Petersberger Klimadialog die Entschuldung von hoch verschuldeten Ländern des globalen Südens einfordern.

 

Eine starke Entwicklungspolitik für Nachhaltigkeit und Klimaschutz, das Einhalten von internationalen Vereinbarungen und Zusagen waren bis dato sozialdemokratische Selbstverständlichkeiten. Eine Außenpolitik, die auf Kooperation und wirtschaftliche Zusammenarbeit setzt, wurde durch sozialdemokratische Visionäre wie Willy Brandt geprägt.

Olaf Scholz hätte also in diesen Tagen die Chance, sich mit seiner Rede vor Klimaschutzminister:innen aus aller Welt dort einzureihen. Dazu wäre es notwendig, die bereits zugesagten sechs Milliarden Euro internationaler Klimagelder, die in der Haushaltsdebatte drohen zu wackeln, erneut zu bestätigen und einen Weg aufzuzeigen, wie die an der Klimakrise verantwortlichen Länder deutlich mehr für die Unterstützung der Menschen aufbringen, die schutzlos dem Klimachaos ausgeliefert sind.

Denn ohne Klimagelder und Entschuldungsinitiative werden Länder des globalen Südens unseren fossilen, in die Klimakrise führenden Lebensstil nachzeichnen – und sich ebenso in einer Abhängigkeit von meist autokratischen Ölstaaten wiederfinden. Wohin das führt, zeigt unsere Abhängigkeit von Putins fossilem Gas und die Ölabhängigkeit vom Nahen Osten.

Sicherheitspolitik muss in der Klimakrise neu geprägt werden. Dafür braucht es Führungsverantwortung vom Bundeskanzler. Und zwar jetzt!