Der Klimaschutz führt in diesem Wahlkampf ein trauriges, ein vergessenes Dasein. Die Spitzenkandidat:innen umschiffen das Thema und auch nur zwei Parteien widmen ihm ein Wahlplakat.

Auf einem Plakat der Grünen steht in großen Buchstaben "Natur und Klima: Schützen" – womit die Partei ihren sonstigen Ein-Wort-Stil unterläuft. Die Linke spielt mit "Ist dein Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht" zumindest klassenkämpferisch auf die Klimakrise an.

 

An Vorschlägen für eine erfolgreiche Klimapolitik mangelt es derweil nicht. Mit gleich 55 Politikempfehlungen wartet die Stiftung Klimaneutralität auf.

Es handle sich um ein umfassendes Paket, das "alle Sektoren abdeckt und, wenn umgesetzt, sicherstellt, dass Deutschland auf Kurs bleibt", so stellt Rainer Baake, Co-Direktor der Stiftung, am Dienstagmorgen auf der Bundespressekonferenz den Bericht "Politikinstrumente für ein klimaneutrales Deutschland" vor.

Bis 2030 muss Deutschland nach geltendem Recht seine Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 senken. Auf Kurs ist die Bundesrepublik derzeit nicht, wie der letzte Bericht des Expertenrats für Klimafragen attestierte. Da kommen Handlungsempfehlungen gerade recht, möchte man meinen.

Das klimapolitische Herzstück der Europäischen Union und damit auch Deutschlands ist der CO2-Emissionshandel. Über die politische Verknappung von Emissionszertifikaten steigt deren Preis, was einen Anreiz für den Umstieg auf klimafreundliche Alternativen schafft.

Doch diesen Umstieg muss man sich leisten können. Spätestens wenn ab 2027 auch der Verkehr und die Gebäudeheizung über den Emissionshandel geregelt werden, wird sich dieses Instrument für alle Menschen in der EU merkbar auf die Preise niederschlagen.

Förderung soll nach Einkommen gestaffelt werden

Rainer Baake: "Bislang ist es nicht gelungen, Klimapolitik so zu gestalten, dass alle Menschen den Umstieg auf klimafreundliche Technologien schaffen können." Die Sorge vor finanzieller Überforderung wachse und gefährde die "grundsätzlich hohe Zustimmung zu den Klimazielen".

Um das zu verhindern, schlägt die Stiftung vor, Förderungen nach Einkommen zu staffeln. Etwa für eine Außenwanddämmung würden dann Menschen mit sehr hohem Einkommen keine oder eine sehr geringe Förderung bekommen, während für Menschen mit sehr geringem Einkommen der Staat einen Großteil der Kosten übernehmen würde.

Eine Reihe von einfachen, kleinen Einfamilienhäusern an einer Straße.
Klimaneutralität bis 2045 ist möglich, aber nur sozial gerecht. (Bild: Hydebrink/​Shutterstock)

Der Vorschlag ist nicht ganz neu, und es gab auch schon vereinzelt auf Bundes- und Landesebene schüchterne Versuche mit sozial gestaffelten Förderangeboten. Da es bisher kein einheitliches Berechnungssystem für eine solche Staffelung gibt, bedeuteten diese Angebote aber immer einen großen bürokratischen Aufwand für die Ämter wie auch für die Privatpersonen.

Der Bericht empfiehlt deshalb eine Festlegung der Sozialstaffelung auf Bundesebene, berechnet auf Basis der Einkommensdaten – die den Finanzämtern bereits vorliegen. Daran könnten sich dann Bundes- wie Landes-, aber auch KfW- und weitere Förderungen orientieren.

Überall dort, wo Förderung nötig sei, müsse diese sozial gerecht angeboten werden, betont der zweite Co-Direktor der Stiftung, Thomas Losse-Müller. "Der CO2-Preis allein reicht nicht aus", stellt der Volkswirt klar. Denn der schaffe zwar den nötigen Anreiz, aber nicht die Möglichkeit, auf klimaneutrale Alternativen umzusteigen.

Tatsächlich wurden in den letzten Jahren Förderprogramme, insbesondere für Gebäudedämmung und Heizungswechsel, überwiegend von Besserverdienenden genutzt. Eine Gebäudedämmung wird derzeit zu 15 Prozent gefördert – damit übersteigen die Kosten, die selbst zu tragen sind, die Möglichkeiten vieler Haushalte.

Sondervermögen und Reform der Schuldenbremse

Neben einer sozial gerechten Umverteilung gegenwärtiger Fördergelder wird für die klimaneutrale Transformation insgesamt mehr Geld nötig. Für mehr Fördermittel für Privathaushalte, aber auch die Industrie und für Investitionen in die Infrastruktur sind laut den Autor:innen des Berichts bis 2030 über 400 Milliarden Euro zusätzlich zu den gegenwärtigen Haushaltsplänen nötig.

Um diese Summe zu mobilisieren, führe an einer Reform der Schuldenbremse kein Weg vorbei, so Losse-Müller. Bis eine solche Reform rechtskräftig ist, brauche es zudem ein "verfassungsrechtlich abgesichertes Sondervermögen".

Die beiden Co-Direktoren stellen in der Pressekonferenz ihre Empfehlungen zur Finanzierung in den Mittelpunkt. Vermutlich auch, weil diese den Grundstein für viele der weiteren Instrumente bilden.

In ihren Empfehlungen für die einzelnen Sektoren erfindet die Stiftung das Rad nicht neu, sondern greift auf den Fundus immer wieder von Fachleuten wiederholter Forderungen zurück. Der Ausbau von Offshore-Windparks soll beschleunigt, der Stromverbrauch im Einklang mit dem Angebot flexibilisiert und die Netze ausgebaut werden.

Auch das obligatorische Autobahn-Tempolimit, eine Weiterführung des Deutschlandtickets und der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E‑Autos dürfen nicht fehlen.

 

Beide Direktoren sind neben ihrer Arbeit als Klimaexperten auch parteipolitisch aktiv, Rainer Baake bei den Grünen und Thomas Losse-Müller bei der SPD. Möglicherweise rührt daher ihre Zurückhaltung gegenüber Nachfragen, die Wahlprogramme der Parteien zu kommentieren.

Einen Seitenhieb gegen den FDP-Vorschlag, das deutsche Klimaziel um fünf Jahre in die Zukunft auf 2050 zu schieben, kann sich Baake am Ende doch nicht verkneifen. "Angesichts dessen, dass manche das Klimaschutzziel schieben wollen, ist es wichtig zu wissen: All diese Sektoren müssen auf Grundlage des europäischen Rechts bis spätestens 2045 klimaneutral werden."

In der Tat sieht der europäische Emissionshandel vor, dass für Industrie und Energiewirtschaft ab 2039 keine Emissionszertifikate mehr ausgestellt werden und für alle sonstigen Sektoren – einzige Ausnahme ist die Landwirtschaft – ab 2043.